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Podiumsdiskussion: Der Wert der Wälder

Start Datum & Zeit: 15/11/2017 6:00 pm

Ende: 15/11/2017 9:00 pm

Unterschiedliche Ansichten über den Wert der Wälder an einem Abend mit regem Austausch und Einblicken.

Schweiz

Intro

Dank unseren Experten und allen Anwesenden fand an unserer Open House Session mit Sustinova ein lebhafter Austausch statt inklusive interessanten Einsichten aus verschiedenen Perspektiven.

Nach einer kurzen Eröffnungsrede der Gründerin von Reforestation World, führten uns unsere Moderatorin und die Experten  durch verschiedene Fragen, die aus Sicht der Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und NGOs diskutiert wurden. Aufgrund der Länge der ganzen Podiumsdiskussion wurden die wichtigsten Punkte ausgewählt und zusammengefasst. Die komplette Podiumsdiskussion beinhaltet viele weitere interessante Details und Fragen und sind in der Audioaufnahme und dem Transkript der Diskussion inbegriffen. Beides sind unten auf Deutsch vorhanden, die Sprache in der der Anlass abgehalten wurde.

Unser Dank geht an Jessica Fenger, die während und nach dem Anlass mit redaktioneller Unterstützung von Paulo Morais die Notizen erstellt hat, und an Sustinova.

Inhalt:

  • Begrüssung Gründerin Reforestation World, Verena Guran-Fierz (En/De)
  • Wesentlichen Punkte (En/De)
  • Protokoll + Tonaufnahme (nur De )

Experten:

  • Unternehmen: Petra Heid,Leiterin Nachhaltigkeit, Chocolats Halba, eine Geschäftseinheit von Coop (externer link)
  • Forschung: Prof. Dr. Andreas Rigling, Eidg. Forschungsanstalt WSL, Leiter Forschung Walddynamik (externer Link)
  • NGO: Loredana Sorg, Programmverantwortliche Biovision – Stifg. für ökologische Entwicklung (externer Link)
  • Politik: Thomas Wirth, Kantonsrat Zürich, Grünliberale (externer link)
  • Moderation von Olivia Bosshart, KION (externer Link)

«Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.

Ich möchte Ihnen kurz erklären, wie es zu  Reforestation World gekommen ist. Ein erstes Mal konnten wir uns anlässlich der Aktion „Going Wild“ diesen September im Zoo Zürich vorstellen (Facebook link). Die Besucher an unserem Stand zeichneten Bäume, für die dann durch eine unserer Organisationen ein echter gepflanzt wurde.

2003 war einer der ersten unnatürlich heissen Sommer. Da fand ich in der NZZ einen Artikel über sog. Klimasenken, das heisst Gebiete, in denen mehr CO2 verbraucht als produziert wird. Es handelte sich ausschliesslich um Wald. So bin ich auf die Idee gekommen, den weltweiten CO2 Ausstoss mit Wald zu kompensieren.  Der Verlust an Wald, Tieren und Pflanzen hat in den letzten 60 Jahren ein in der  Weltgeschichte noch nie gekanntes Ausmass erreicht. Ebenso die Anzahl der Menschen, die immer weiter wächst und auf die Ressourcen der Erde angewiesen ist. Da der grösste Teil dieser Menschen mit Holz kocht, was auch CO2 ausstösst, schreiten die Zerstörung der Natur , die Verwüstung und der damit einhergehende  Wassermangel  ungebremst fort. Zoologische und Botanische Gärten können noch so gute Arbeit leisten, sie bleibt nutzlos, wenn die Lebensräume ihrer Schützlinge verloren sind.

Erosion durch Wind und Sturzfluten, die nicht von der Pflanzendecke zurückgehalten werden, Ueberschwemmungen und zunehmende Hitze sind weitere Plagen. Der Temperaturunterschied zwischen einer öden, steinigen Flächen und einem Waldesinnern dürfte um die 20 Grad betragen. Da der zerstörte Wald, ausser in den nördlichen Ländern, nirgends ohne Hilfe nachwächst, wird die Situation, immer gefährlicher. Aber es ist möglich, den verlorenen Wald zurückzugewinnen!

Da Hilfswerke wenig Kontakt unter einander haben und sich mehrheitlich um die Erhaltung von Menschen und nicht um die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen kümmern, habe ich  das Internetportal Reforestation World gegründet, das nun von Paulo Morais  und Sustinova betrieben wird. Hier können sich Aufforstungsorganisationen eintragen, ihre Erfahrungen austauschen, Wiederbewaldung populär  machen und Sponsoren gewinnen.

CO2 ist nicht an sich schlecht, es ist sogar die Grundlage für das Wachstum der Pflanzen, aber es ist am falschen Ort:  In der Luft statt im Boden und der Pflanzendecke. Obwohl  wachsender Wald eine Unmenge CO2 verzehrt, habe ich das Wort Baum noch an keiner der teuren Klimakonferenzen gehört. Mit dem Geld, das dort verbraucht wurde, hätte man die ganze Sahelzone begrünen können,!. Wenn Sie sich die Bilder  in unsern Organisationen anschauen, können Sie sehen, welch ungeheure Arbeit vor uns liegt, um dieser Katastrophe Herr zu werden.

Nun  wollen wir hören, was unsere Podiumsteilnehmer dazu zu sagen haben. Vielen Dank»

Olivia Bosshart: Wovon reden wir wenn wir vom Wald sprechen?

Andreas Rigling: Aus Sicht der Forschung definieren wir zuerst einmal von welchem Wald wir sprechen, da es viele verschiedene Wälder gibt. Beim Grossteil der Wälder in Europa handelt es sich von Sekundärwäldern, teilweise hat es auch Plantagen und Primärwälder, aber kaum Urwälder.

Thomas Wirth: Im Alltagsleben in der Schweiz wird der Wald von vielen Leuten als Erholungsraum genutzt. In der schweizer Politik ist der Wald eher ein Randthema. Das Schweizer Waldgesetz schützt den Wald und verbietet dessen Rodung. Da die Waldfläche in der Schweiz jedoch gesamthaft zunimmt und es ein Interesse daran gibt, das Kulturland zu erhalten, wird vermehrt diskutiert, vieviel Wald man roden könnte, um es so in Siedlungsgebiet umzuwandeln.

Petra Heid: Für mich ist Wald die Heimat der Kakaopflanze, welche usprünglich aus dem Amazonas kam und an hochdiversifizierte Ökosysteme angepasst ist. Sie wurde jahrhundertelang auch so genutzt, aber wenn man jetzt genau hinschaut, wo Kakao angebaut wird, hat das sehr wenig mit Wald zu tun.

OB: Was ist der Wert des Waldes im Bereich, in dem ihr arbeitet?

AR: 32 Prozent der Schweizer Landesfläche ist mit Wald bedeckt. Der Wald ist ein extrem wichtiges Landschaftselement und gehört, wie die Berge und attraktive Siedlungsgebiete, zur Identität der Schweiz. Zudem ist er wichtig für unser Wohlbefinden und der Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere, aber eben auch für den Menschen. Bewaldete Gebiete filtern 40 Prozent des Trinkwassers in der Schweiz und schützen vor Naturgefahren (wie Steinschlägen, Lawinen, Erosion, etc.), was in der Schweiz ganz zentral ist. Ausserdem bindet der Wald Kohlenstoff und agiert als Luftfilter, der Schadstoffe und Staub aus der Luft rausnimmt und Sauerstoff produziert.  Zuletzt produziert der Wald auch noch Holz, eines der wenigen erneuerbaren Rohstoffen in der Schweiz. Jeder von uns hat einer andere Sicht auf, einen anderen Anspruch an den Wald  und Teil der Herausforderung ist es, jeder dieser Sichtweisen berücksichtigen zu können.

Loredana Sorg: In den Regionen in Ostafrika, wo Biovision arbeitet, leben die Menschen in und vom Wald. Deshalb ist es sehr schwierig den Wald zu schützen, ohne den Menschen in diesen Ländern einen direkten Vorteil davon zu geben. Der Wert des Waldes für diese Menschen extrem hoch, er ist ihre  gesamte Lebensgrundlage: Ihre Quelle für Nahrhrung, Brennholz, Arbeits und Freizeitsraum.

OB: Für manche Leute ist der Wald ja wertvoller wenn er weg ist, wie wenn er da ist. Was sind eure Standpunkte dazu?

PH: Zur jetztigen Zeit gibt es im Kakaosektor weltweit ca. 10 mio. Hektar Kakaopflanzungen, meist in Regionen nahe dem Äquator, also früheren Regenwaldgebieten. Geschichtlich gesehen hat man die Wälder nicht abgeholzt,  um sie direkt mit Kakaopflanzen zu ersetzen, sondern es gab einen Schritt dazwischen. Die Kolonialmächte haben zuerst den Regenwald für die wertvollen Hölzer abgeholzt. Als Resultat dieser schrittweiser Entwaldung wurde der Kakaoanbau intensiviert. Wo bereits Kakaopflanzen standen, wurden diese noch mehr kultiviert und in neu entstandenen Lichtungen hat man kontinuierlich Kakao angefplanzt. So ging es immer mehr Richtung Monokultur es kam zu unserem heutigen, tragischen Zustand. Wir als Schokoladenproduzenten setzen da an: Der Mangel an Diversität bringt dem Kakao und uns nicht sehr viel, also versuchen wir herauszufinden, wie wir wieder Diversität und Wald in diese Kakaopflanzungen bringen.

TW: Wenn ich den Wert des Waldes global gesehen beziffern müsste, wäre das ganz einfach: Er ist unbezahlbar. Wir hängen alle vom Wald ab. Er ist der wichtigste Sauerstoffproduzent und ohne Sauerstoff gibt es uns nicht. In der Politik kommt er meist in lokalen Ansätzen vor. Es kommen gelegentlich Fragestelleungen zu Ökosystemleisutngen vor, sie werden aber nicht angegangen werden. Mir fällt stark auf, dass der Wald oft als gottgegeben wahrgenommen wird.

OB: Haben wir Gründe zur Sorge über den Zustand der Wälder?

AR: Global gesehen ist es nach wie vor so, dass massiv Wald verschwindet, aber manchmal wird er auch von einer anderen Waldart ersetzt. Man muss bedenken, dass es einen Unterschied gibt zwischen Wald entfernen, um stattdessen Palmöl anzubauen oder Primärwalder abholzen und dann Sekundärwald nachwachsen lassen. Wenn man einen Primärwald zerstört mit 800 bis 900 Jahren alten Bäumen, wie beispielsweise an der Küste von British Columbia oder im Amazonas, sind nicht nur diese alten Bäume weg, sondern es verändert sich der ganze Oberboden. Bis der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt ist, vergehen mindestens wieder 1000 Jahre. Es gibt auch regionale Unterschiede: In China zum  Beispiel haben sie eine sogenannte Green Wall angepflanzt, um ihre massiven Erosionsprobleme zu bekämpfen und wurden somit zum Land mit der grössten Aufforstungsaktivität. In den Tropen und Subtropen ist dies nicht der Fall, dort steht der Wald unter enormem Druck.  Aber was Sie (LS)  gesagt haben, ist natürlich ganz wichtig. Man kann nicht ohne die lokale darüber Bevölkerung entscheiden, denn letztlich sind es diese Leute, die dort wohnen und vom Wald leben.

OB: Wer kann was konkret tun? Wer kann in euren Bereichen etwas tun?

LS: Diese Frage ist extrem komplex. Biovision produziert nichts und ist auch kein Unternehmen. Das heisst, wir sind vom Interesse der Menschen vor Ort abhängig. Obwohl das Problem oft erkannt wird und das Interesse relativ gross ist, machen längst nicht alle mit.  Wir klären die Bauern auf über Alternativen zum „business as usual“. Wir verbinden es mit Forschung und bringen Themen, die global wichtig sind, der Bevölkerung so näher. Die Langfristigkeit stellt im Regenwald natürlich eine grosse Herausforderung dar, weil man mit Menschen arbeitet, die nicht wissen, was sie heute Abend essen werden. Deshalb arbeiten wir auch mit ihnen an einem sicheren Ausblick. Die politische Ebene ist auch sehr kritisch, wenn es darum geht, Resultate zu sichern. kann es vor allem schwierig werden, wenn staatliche Forstbehörden dem, der am meisten zahlt, erlauben, nebendran alles abzuholzen. Wir haben während etwa zehn Jahren mit einem Dorf gearbeitet, um den benachbarten Wald zu schützen. Doch dieser wurde innert drei Tagen abgeholzt, als die staatliche Forstbehörde dies bewilligt hat, und man konnte nichts dagegen tun.

PH: Die Bedürfnisse der Kleinbauern müssen verstanden und befriedigt werden, auch politisch gesehen. Jegliche Konzepte müssen berücksichtigen, dass die Bauern oft nicht ihr eigenes Land besitzen und nur bis übermorgen vorausdenken. Wir kombinieren beispielsweise Aufforstungen mit Edelhölzern und gleichzeitig mit Nahrungsmittelpflanzen, damit der Bauer kurzfristig und langfrisitg profitiert.

TW: Die Politik ist ein zentraler Akteur dieser Diskussion und verantwortlich dafür, dass der Wert des Nicht-Waldes nicht den des Waldes überschreitet. Die Politik müsste die Rahmenbedingungen so setzen, dass der Wald wieder wertvoll wird und die Anreize  so gesetzt sind, dass Entscheidungen nicht automatisch zu Gunsten der Abholzung gefällt werden.

AR: Wir haben primär über Rodung gesprochen, aber ein ganz essentieller Teil ist auch die Holzproduktion. Im Thema Rodung gibt es kein Schwarz und Weiss und nicht jeder gefällte Baum ist schlecht. Wir müssen da eine global Sichtweise haben und danach die Probleme regional lösen. Die weltweite Nachfrage an Holz nimmt zu und wir müssen darüber sprechen, wo und wie ds Holz produziert werden soll.  In der Schweiz verbrauchen wir mehr Holz, wie wir produzieren und wir sind noch eher ein vorbildliches Land. Eine ökologisch vertretbare Holzproduktion ist nötig, um die Holznachfrage zu decken und trotzdem noch auf die Biodiversität Rücksicht zu nehmen.

OB: Von meiner Seite noch zu allerletzt: Was kann der Einzelne tun, bzw. was sollen wir unbedingt tun oder unterlassen um zu versichern, dass sich die Situation nicht verschlechtert?

PH: Es ist wichtig sich darüber zu informieren, welche Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen und welche nicht. Von Unabhängigen kontrollierten Zertifizierungen sind hier wichtig. Billige Schokolade schliesst keine Kinderarbeit und keine Waldzerstörung aus und hierfür ist die  Schokoladenindustrie mitverantwortlich. Es gibt viele Möglichkeiten für Unternehmen, etwas zu tun. Der Konsumierer sollte fragen, woher das Produkt kommt und Transparenz verlangen.

TW: Im Kanton Zürich muss man auf Petitionen auch eine Antwort geben, doch diese Antworten sind nicht immer so klug. Da wir die Politik in anderen Ländern nicht kontrollieren können, bleibt uns nur die Rolle als Konsumenten. Man kann zertifizierte Produkte kaufen, sollte aber auch auch das Label kritisch betrachten, da diese auch Schwierigkeiten mit sich bringen: Wenn sie die Anforderungen zu hoch setzen, kann sie niemand erfüllen, und wenn man sie zu tief setzt, bringt es nichts.

AR: Ich als Bürger kaufe möglichst einheimisches Holz und sonst definitiv ein zertifiziertes Produkt. Bei der Waldbewirtschaftung ist es entscheidend, dass wir einheimisches Holz auf eine ökologisch sinnvolle Art produzieren. Es wäre ein riesiger Fehler, wenn man die Holzproduktion über alles stellen würde.

LS: Aus Sicht einer NGO ist nachhaltiger Konsum sehr wichtig, wie bisher gesagt. NGOs finanziell zu unterstützen und Politiker zu wählen, denen die Natur wichtig ist, sind auch sehr wichtige Punkte. Doch das Wichtigste ist, dass die Menschen, Erwachsene und Kinder,  rausgehen und den Wald geniessen. Wenn man die emotionale Bindung zum Wald stärkt, wächst auch das Interesse daran, ihn zu schützen.

Bemerkung: Aufgrund der ursprünglichen Länge der Podiumsdiskussion, wurde um der Klarheit willen der Inhalt  teilweise überarbeitet oder zusammengefasst.
Die Audioaufnahme enthaltet alle Details, abgsehen von einem kurzen Anfangsteil (Begrüssung), welcher nicht richtig aufgenommen werden konnte. Diese Sektion ist nur in Deutsche verfügbar, das der Anlass in dieser Sprache abgehalten wurde.

Podiumsdiskussion 15. Nov – Open House Sustinova

Olivia Bosshart: Wir beginnen mit meiner ersten Frage zu Wald und Wildnis: Wovon reden wir wenn wir vom Wald sprechen?

Andreas Rigling: Aus Sicht der Forschung definieren wir zuerst einmal von welchem Wald wir sprechen, da es viele verschiedene Wälder gibt. Beim Grossteil der Wälder in Europa handelt es sich von Sekundärwäldern, teilweise hat es auch Plantagen und Primärwälder, aber kaum Urwälder. Es ist richtig und wichtig, dass wir beim Thema Wald immer zuerst definieren, wovon wir sprechen.

Thomas Wirth: In der Politik ist zuallererst dieser rechtlicher Waldbegriff ein ganz wichtiger Begriff. Dies ist im Waldgesetz definiert, dort wird gesagt was Wald ist und was kein Wald ist. Wenn es Wald ist, dann ist in diesem Waldgesetz eben das Rodungsverbot verankert. Im Alltagsleben spielt der Wald als Erholungsraum, aber auch beispielsweise in Fragestellungen bezüglich den ausdehnenden Waldflächen in den Alpen eine grosse Rolle. In der Politik kommt die Diskussion auf uns zu, jedenfalls befürchte ich das, ob man im Mittelland Wald roden soll um Sieldungen zu bauen, da die Waldfläche in der Schweiz gesamthaft zunimmt. Im Kanton Zürich wird auch nächstens die Frage des Wilds im Wald intensiv diskutiert werden. Es kommt nämlich eine Initiative zur Abstimmung, die verlangt, dass nur noch Wildhüter im Kanton Zürich jagen dürften. Somit ist Wald politisch gesehen in der Schweiz eher ein Randthema.  Wenn es  aber mal zur Sprache kommt, bewegt es die Leute doch lokal und national.

Petra Heid: Die erste Frage, die man sich stellt, ist: Was hat denn Wald mit Schokolade zu tun? Schokolade hat natürlich viel mit Kakao zu tun und die Kakaopflanze ist eine Pflanze, die im Wald vorkommt und ihre genetische Wiege im Amazonasgebiet hat. Für mich ist Wald die Heimat der Kakaopflanze und wurde jahrhundertelang auch so genutzt. Die Kakaopflanze ist ein Baum der mittleren Schicht, er wird also nicht sehr hoch, verträgt sehr gut Schatten und liebt hochdiversifizierte Ökosysteme. Wenn man jetzt genau hinschaut, wo Kakao angebaut wird, dann hat das sehr wenig mit Wald zu tun. Wir versuchen in unseren Projekten zurück zum Usprung zu kommen und möglichst waldähnliche und ursprüngliche Ökosysteme für die Kakaopflanzen zu machen. Diese befinden sich natürlich im Gegensatz zu den vorher erwähnten Wäldern in tropischen Gebieten wie in Süd- und Zentralamerika.

Loredana Sorg: Unsere Projekte ähneln sich zwar von der Thematik, doch die von Biovision befinden sich in Ostafrika. Es gibt also sicher Parallelen zu Ihren Projekten, sie liegen aber distanzmässig weit auseinander.

OB: Wir haben also diese vier Sichtweisen: Politik, Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Dieser Wald muss ja für ziemlich viel herhalten, weil wir Menschen das so wollen. Wir sind alle Menschen, Konsumenten und daher auch Verbraucher der Produkte des Waldes. Der Planet braucht den Wald. Für die Forstwirtschaft ist es Rohstoff, Baumaterial und Produktionstoff. Es ist aber auch Anbaufläche für Kakao oder sonstige Nahrung. Für den Tourismus ist es eine Attraktion, für den Rest der Gesellschaft ist es Freizeit-,  Erholungs- und Kulturraum und für jegliche Tierarten ist es der Lebensraum.

Dies führt mich zur Frage an euch: Was ist der Wert des Waldes im Bereich, in dem ihr arbeitet?

AR: Ich nenne mal ein paar Zahlen aus der Schweiz: 32 Prozent der Schweizer Landesfläche ist mit Wald bedeckt. Der Wald ist ein extrem wichtiges Landschaftselement und gehört, wie die Berge und attraktive Siedlungsgebiete, zur Identität der Schweiz. Zudem ist er wichtig für unser Wohlbefinden und der Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere, aber eben auch für den Menschen. Der Wald ist ein Hotspot für die Biodiversität in der Schweiz. Im Vergleich zu anderen Lebensräumen und Ökosystemen ist die Situation bezüglich Biodiversität relativ gut. Ich sage nicht, dass man sie nicht noch stark verbesern könnte, aber im Vergleich zur Landwirtschaft sieht es nicht so schlecht aus und es gibt grosse Bestrebungen die Situation der Biodiversität im Wald noch zu verbessern.  Er ist ein wichtiger Trinkwasserfilter. 40 Prozent des Trinkwassers in der Schweiz kommt aus bewaldeten Gebieten, der Wald ist der beste Trinkwasserfilter. Indem er Schadstoffe wie Nitrat herausfiltert, ist er extrem wichtig für die Trinkwassserqualität in der Schweiz und wird sicher noch wichtiger werden.  Er schützt vor Naturgefahren, wie Lawinen, Erosion, Steinschlag, was in der Schweiz ganz zentral ist. Er wird diesbezüglich auch bewirtschaftet, um diese Funktion möglichst gut zu erfüllen.  Er ist aber auch ein Erholungsraum: Gewaltige 70 Prozent der Bevölkerung der Schweiz lebt heute in Städten und Agglomerationen. In einer schweizweiten Umfrage zum Erholungswert des Waldes gaben 40 Prozent der Befragten an, ein bis zwei Mal in der Woche zur Erholung in den Wald zu gehen.  Kohlenstoffbindung ist auch ein ganz zentrales Thema, der Wald ist weltweit das wichtigste terrestrische Kohlenstoffreservoir. Zusätzlich ist er ein Luftfilter, der Schadstoffe und Staub aus der Luft rausnimmt und Sauerstoff produziert. Der Wald hat also ganz vielfälitge Funktionen, von denen man viele nicht wirklich wahrnimmt. Jeder von uns hat einer andere Sicht auf, einen anderen Anspruch an den Wald  ubd Teil der Herausforderung ist es, jeder dieser Sichtweisen berücksichtigen zu können.

OB: Wie sieht es mit dem Wert des Waldes in Ostafrika aus?

LS: Ich möchte noch einen für Biovision wichtigen Punkt unterstreichen. Es gibt oft die Kritik, dass viele Organisationen, die in tropischen Regionen arbeiten,  zu viel nur mit den Menschen arbeiten anstatt mit den Wäldern. Jedoch ist dies einfach so stark verbunden, wir können nicht mit dem Wald arbeiten, ohne mit den Menschen zu arbeiten. Denn die Menschen, zumindest in diesen Regionen in Ostafrika, wo wir arbeiten, diese leben in und vom Wald. Deshalb ist es sehr schwierig den Wald zu schützen ohne den Menschen in diesen Ländern einen direkten Vorteil davon zu geben. Deshalb ist der Wert des Waldes für diese Menschen extrem hoch, er ist ihre  gesamte Lebensgrundlage: Ihre Quelle für Nahrhrung, Brennholz, Arbeits und Freizeitsraum. Deshalb versuchen wird für diese Menschen alternatives Einkommengrundlage aufbauen, damit sie ihre Aktivitäten im Wald zurückfahren können. Gleichzeitig kreieren wir nicht irgendwelche Einkommensaktivitäten, sondern da gehört beispielsweise die Produktion von Medizinalpflanzen dazu, die ursprünglich aus dem Wald kamen und jetzt ausserhalb des Waldes angepflanzt werden. Dies soll bewirken, dass einerseits das Bedürfnis im Wald abzuholzen oder eben Medizinalpflanzen zu sammeln nicht mehr besteht, und andererseits ein Bewusstsein für den Reichtum des Waldes hergestellt wird.

OB: Für manche Leute ist der Wald ja wertvoller wenn er weg ist, wie wenn er da ist. Was sind eure Standpunkte dazu?

PH: Zur jetztigen Zeit gibt es im Kakaosektor weltweit ca. 10 mio. Hektar Kakaopflanzungen. Diese brauchen tropische Temperaturen und stehen somit meist in Regionen nahe dem Äquator, also in früheren Regenwaldgebieten. Geschichtlich gesehen ist es so, dass man nicht abgeholzt ab um diese Wälder mit Kakaopflanzen zu ersetzen, sondern es gab einen Schritt dazwischen. Die Kolonialmächte haben zuerst den Regenwald für die wertvollen Hölzer abgeholzt. Als Resultat dieser schrittweiser Entwaldung wurde der Kakaoanbau intensiviert. Wo bereits Kakaopflanzen standen, wurden diese noch mehr kultiviert und in neu entstandenen Lichtungen hat man kontinuierlich Kakao angefplanzt. So wurde Wald immer mehr abgeholzt und es ging immer mehr Richtung Monokultur. So kamen wir zu unserem heutigen, tragischen Zustand. Wir setzen da an: Der Mangel an Diversität bringt dem Kakao und uns nicht sehr viel, also versuchen wir herauszufinden, wie wir wieder Diversität und Wald in diese Kakaopflanzungen bringen. Dies hat vorher auch bereits funktioniert und sollte deshalb jetzt auch wieder funktionieren. Unser Ansatz ist, diese hochdiversifizierte Ökosysteme wieder aufbauen zu können.

TW: Wenn ich nun den Wert des Waldes global gesehen beziffern müsste, wäre das ganz einfach: Er ist unbezahlbar. Wir hängen alle vom Wald ab. Er ist der wichtigste Sauerstoffproduzent und ohne Sauerstoff gibt es uns nicht. In der Politik kommt er meist in lokalen Ansätzen vor: Es gab Studien zu Ökosystemleistungen, die Fragen wie „Was wenn der Wald das Trinkwasser nicht mehr filtert?“ und „Was wenn der Wald in Andermatt weg ist und nicht mehr als Lawinenschutz dienen kann?“ untersucht hat. Das sind solche Fragestelleungen, die in der Politik vorkommen, aber eigentlich nicht angegangen werden. Mir fällt stark auf, dass der Wald oft als gottgegeben wahrgenommen wird. Oftmals kümmert sich die Politik lokal nicht wirklich um ihren Schutz und findet Landwirtschaftsland wertvoller. Man denkt dann, dass der Sauerstoff von anderen Wäldern kommen wird.

OB: Ich habe schon ganz unterschiedliche Ansichten bezüglich des Zustands des Waldes gehört, und über die Unternehmensbedürftigkeit. Manche Leute sagen, es ist fünf vor zwölf, dann gibt es Physiker, die sagen, es ist fünf nach zwölf und andere meinen, man müsse gar nichts unternehmen. Was sagt ihr als Fachleute: Haben wir Gründe zur Sorge über den Zustand der Wälder?

AR: Die Antwort kommt auf die Perspektive darauf an: Global gesehen ist es nach wie vor so, dass massiv Wald verschwindet. Es ist aber nicht immer so, dass danach an seiner Stelle einfach kein Wald mehr vorhanden ist. In Regionen wie Südafrika, Indonesien und dem fernen Osten wird er zwar schon eher durch industrielle Landwirtschaftsflächen ersetzt, während es in Afrika vor allem an der lokalen Produktion liegt. Man muss bedenken, dass es einen Unterschied gibt zwischen Wald entfernen um stattdessen Palmöl anzubauen oder Primärwalder abholzen und dann Sekundärwald nachwachsen lässt. China liefert a ein gutes Beispiel: Sie haben massive Erosionsprobleme und haben erkannt, dass sie aufforsten müssen. Dort gibt es deshalb inzwischen eine sogenannte Green Wall, womit China zum Land mit der grössten Aufforstungsaktivität geworden ist. In den Tropen und Subtropen ist dies nicht der Fall, dort steht der Wald unter enormem Druck.

Waldfläche ist der eine Faktor, aber was verliert man, wenn man einein Primärwald zerstört? Man verliert zum Beispiel an der Küste von British Columbia oder im Amazonas teilweise Bäume, die 800 bis 900 Jahre alt sind. Wenn man solche Wälder abholzt sind aber nicht nur diese alten Bäume weg, sondern es verändert sich der ganze Oberboden und bis der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt ist, vergehen mindestens wieder 1000 Jahre. Es ist natürlich nicht in allen Wäldern gleich, es gibt solche, die sich schneller erholen. Ich finde es daher wichtig, diese Relikte von Primärwälder zu schützen. Aber was Sie (Loredana)  gesagt haben, ist natürlich ganz wichtig. Man kann nicht ohne die lokale darüber Bevölkerung entscheiden, denn letztlich sind es diese Leute, die dort wohnen und vom Wald leben. Man muss bei Abholzungen differenzieren zwischen den Locals und grossen Industriekonzernen, die ihr Big Business machen wollen. Allgemein ist es global ein differenziertes Bild, gewissen Orten dehnt der Wald sich aus und in in anderen Gebieten geht er massiv zurück.

OB: Trump says: “Climate change is a hoax”. Wie ist das in der Schweiz?

TW: In der Schweiz stellt das Thema des Klimawandels sicher eine grosse Herausforderung dar. Teil der Herasuforderung wird es sein, in langen Zeiträumen zu denken. Man kann nämlich nicht nur an morgen, übermorgen oder an die nächsten fünf Jahre denken, sondern muss den Zeitraum der nächsten 20 bis 30 Jahren im Blick halten. Herausforderungen im Klimawandel und im Wald werden kommen, man spürt bereits jetzt die erste Veränderungen und muss jetzt schon reagieren, weltweit und in der Schweiz. Eine Herausforderung spezifisch in der Schweiz, welche meiner Meinung nach noch viel zu wenig beachtet wird, sind die überhöhte Stickstoffeinträge, die zu übersäuertem Boden führen. Laut einem Bericht des Bundesrates Anfang dieses Jahres sind diese in 30 Prozent des schweizer Waldbodens problematisch und in 8 Prozent ist die Situation schon kritisch. Weiter wurde im Bericht die Hauptursachen dafür beschrieben, nämlich der Verkehr mit den Stickoxiden und das Ammoniak in der Landwirschaft. Gleichzeitig schrieb der Bundesrat in diesem Bericht, dass man keine Massnahmen dagegen ergreifen werde. Die Schwierigkeit bei solchen Umweltfragen besteht also darin, rechtzeitig einzugreifen und zu korrigieren, bevor es zu spät ist.

OB: Wer kann was konkret tun? Wer kann in euren Bereichen etwas tun?

LS: Diese Frage ist extrem komplex. Wir per se produzieren nichts, die Bauern entscheiden selber was sie produzieren und was sie verkaufen. Wir sind kein Unternehmen, sondern wir klären die Bauern auf über Alternativen zum „business as usual“. Das heisst, wir sind vom Interesse der Menschen vor Ort abhängig. Meist ist das Interesse mitzumachen relativ gross. Wir verbinden es mit Forschung und bringen Themen, die global wichtig sind, der Bevölkerung so näher. Im Idealfall funktioniert das, jedoch machen längst nicht alle mit. Aber weil die Situation so kritisch ist, ist schon jeder kleinster Beitrag Richtung Aufforstung wichtig. Die Langfristigkeit stellt im Regenwald natürlich eine grosse Herausforderung dar. Dies ist vor allem so, wenn man mit Menschen arbeitet, die nicht wissen, was sie heute Abend essen werden. Wir müssen ihr Abendessen verbessern und ihnen gleichzeitig erklären, wie wir ihnen einen besseren Ausblick für die nächsten 25 Jahren geben können. Auf politischer Ebene kann es vor allem schwierig werden, wenn staatliche Forstbehörden dem, der am meisten zahlt, erlauben, nebendran alles abzuholzen. Wir haben dann während vielleicht zehn Jahren mit einem Dorf gearbeitet, um diesen Wald zu schützen. Doch innert drei Tagen ist eine riesige Fläche abgeholzt und man kann nichts dagegen tun. Darum ist die politische Ebene auch ein ganz wichtiger Punkt.

PH: Die Bedürfnisse der Kleinbauern müssen verstanden und befriedigt werden. Neben den Kleinbauernaktivitäten, muss es auch politisch getragen werden. Die Bauern sind nicht motiviert wenn Land und Baum nicht ihnen gehört, sondern dem Staat. Der Bauer sieht nur bis übermorgen und jegliche Konzepte müssen auch das beinhalten. Wir machen beispielsweise Aufforstungen mit Edelhölzern und gleichzeitig mit Nahrungsmittelpflanzen. Es ist also immer alles so kombiniert, damit der Bauer kurzfristig und langfrisitg profitieren.

Frage vom Publikum: Ich habe eine konkrete Frage (an PH) zur Biodiversität im Kakaoanbau: Können Sie Beispiele dafür geben, was konkret auf einer Fläche angebaut wird auf der Baumebene, Strauchebene und Bodenebene?

PH: Es kommt darauf an wie alt die Fläche ist, auf der wir arbeiten. Wenn es eine Neupflanzung ist, hat es sehr viele einjährige Pflanzen wie  Mais, Bohnen, Papaya und Bananen. Dies ändert sich ständig, wir reden hier von einer sukzessionaler Agroforstwirtschaft. Mit der Sukzession verändert sich die ganze Dynamik und Zusammensetzung der Fläche, wobei immer Nahrungsmittelpflanzen eine wichtige Rolle spielen, seien sie ein- oder mehrjährig. Wir haben auch bei schon etablierten, älteren Ökosystemen immer wieder freie Flächen, wo ein Baum umgefallen ist, oder unproduktive Flächen, die ganz bewusst gerodet werden. Somit kann da ein Neuanfang mit all seinen positiven Auswirkungen entstehen. Es ist also alles sehr integriert, Nahrungsmittel und Waldfläche in einem Kombipack.

Frage vom Publikum: Wir reden hier von Forst und Wald.  Aber um wirklich Lösungen zu schaffen, sollte man den Aspekt der Landwirtschaft nicht ausser Acht nehmen und schauen, ob es da nicht auch Überlagerungen gibt. Wenn es darum geht, lösungsorientierte Entwicklungen zu schaffen, macht es Sinn, zwischen Wald und Offenland zu unterscheiden?

AR: Die Trennung von Land- und Forstwirtschaft ist ein sehr interessanter Punkt. Wenn wir 200 Jahre zurückschauen, dann war das eigentlich einer der Hauptgründe, wieso es zu diesen restriktiven Forstgesetzen in Europa kam. Doch wir wollen jetzt bei der Schweiz bleiben. Damals war die Landwirtschaft und die Holzproduktion auf der gleichen Fläche zusammen. Dies hat aus naheliegenden Gründen, schliesslich ging es auch um Nahrungsmittelproduktion, dazu geführt, dass die landwirtschaftliche Bedürfnisse über denen des Waldes gestellt wurden. Der Wald wurde ausgeräumt und übernutzt. Er degradierte, was zu grossen Problemen führte. Darum nahm man die beiden Bereiche auseinander, es ist zum Beispiel nicht mehr erlaubt, Ziegen oder Kühe im Wald zu halten. Dies ist so strikt getrennt, um den Wald zu schützen. Das hat auch funktioniert, die Siutation ist diesbezüglich in den Wäldern viel besser als vor 200 Jahren. Heute kommt man aber wieder an den Punkt,  wo man eine weniger strikte Trennung in Erwägung zieht, um andere Probleme auf der Landschaftsebene zu lösen. Es gibt Diskussionen, wo man das öffnen und kontrollierte landwirtschaftliche Nutzung im Sinne einer Agroforestry wieder fördern möchte. Im Jura gibt es ein Beispiel einer Agroforestry, die sehr gut funktioniert, stabile Systeme kreiert und sehr artenreich ist. Es gibt also Diskussionen in diese Richtung und im Bereich in der Sie (PH) arbeiten, ist das sicher einer der Hauptschwierigkeiten.  

OB: Um zurück auf die vorherige Frage zu kommen, möchte ich wissen: Was kann der Grünliberale tun?

TW: Ich bin im Kantonsrat Zürich und da haben wir einen beschränkten Handlungspielraum, da das Waldgesetz national geregelt ist. Aber die Politik ist natürlich ein zentraler Akteur wenn es zu den Fragen kommt: Was machen wir mit einem Wald? Was ist dieser Wald wert? Da sehen die Antworten verschieden aus für den Nutzer, die Grundeigentümer, Bewohner und die Regierung. Und wenn man da feststellt, dass für den Grundeigentümer und die Regierung das Land als Palmölplantage wertvoller ist wie als Wald, dann haben wir ein System, in dem die Anreize so gesetzt sind, dass der Wert des Nicht-Waldes höher ist als wenn ein Wald da wäre. Die Politik müsste die Rahmenbedingungen so setzen, dass der Wald wieder wertvoll wird und solche Entscheidungen nicht automatisch gefällt werden.

OB: Was kann eine NGO tun, die keine Wähler befriedigen muss und keinen Geschäftseinfluss hat?

LS: Es kommt auf die Grösse der NGO darauf an. Wir können auf verschiedenen Ebenen etwas bewirken, da wir relativ unvoreingenommen sind und so mit Akteuren aus verschiedenen Bereichen arbeiten können. Wir können Leute motivieren, zusammenbringen, Partner vor Ort unterstützen und ihnen Möglichkeiten bieten. Biovision ist es ein grosses Anliegen, den Dialog zwischen unseren Geldgebern in der Schweiz und den beteiligten Personen vor Ort zu ermöglichen. Wenn sich Leute dafür interessieren und den Wert erkennen, macht es einen grossen Unterschied.

AR: Ich möchte noch einen Schritt zurück nehmen: Wir haben primär über Rodung gesprochen, aber ein ganz essentieller Teil ist natürlich auch die Holzproduktion. Wir müssen da eine global Sichtweise haben, auch wenn die Probleme danach regional gelöst werden müssen. Die weltweite Nachfrage an Holz nimmt zu.  In der Schweiz verbrauchen wir mehr Holz, wie wir produzieren und wir sind noch eher ein vorbildliches Land. Wenn wir darüber sprechen, die tropischen Regenwälder zu schützen, dann müssen wir auch darüber sprechen, wo das Holz produziert werden soll. Grundsätzlich ist die Holzproduktion und die Holzverwendung ökologisch gesehen sehr positiv, da es eine Ressource ist, die nachwächst. Schutzgebiete sind wichtig, dennoch muss genug Holz produziert werden. Dies müssen wir besser machen, mann muss die Holznachfrage auch bei uns decken und trotzdem noch auf die Biodiversität Rücksicht nehmen. Wir brauchen also eine ökologisch vertretbare Holzproduktion. Im Thema Rodung gibt es kein Schwarz und Weiss und nicht jeder gefällte Baum ist schlecht.

Frage von Publikum: Was ist mit der Energieversorgung in der Schweiz? Sollte man das nicht auch hier intensiver nutzen?

AR: Die aktuellen Zahlen zeigen uns, dass in der Schweiz 4 Prozent der Energie über Holz gedeckt wird und 8  Prozent des Wärmeverbrauchs über Holz, das ist die Grössenordnung. Wenn wir nun den maximalen Nutzen von den Wäldern ziehen würden, also genau so viel nutzen wie nachwächst, sodass wir nichts reduzieren, dann könnten wir vielleicht gegen  10 Prozent im Wärmeverbrauch oder 5 Prozent der Energie. Wir können nicht die Hälfte des Energieverbrauchs decken, aber immerhin ein paar Prozent mehr.

TW: Ich stimme Andi zu, wir müssen die Holznutzung richtig und klug machen.  Ich habe Ende der 90er Jahre in Mali gearbeitet, wo ich ein Managementpläne mit der lokalen Bevölkerung entwickeln wollte. Ich wollte zeigen, dass man den Wald nachhaltig nutzen kann. Dies hat jedoch nicht besonders gut funktioniert und man hat besonders im Bezug auf Brennholz gesehen, dass sie einfach immer den nächsten Baum genommen, haben ihn gefällt und das nächste Mal mussten sie ein wenig weiter laufen bis sie einen Baum fanden, den sie verbrennen könnten. Ich habe mit den Werten, die ich auf den Flächen in den Regionen, in denen ich gearbeitet habe, ausgerechnet habe ein wenig hochgerechnet  mit der Waldfläche von Mali und habe so gesehen, dass Mali, zumindest in den 90er Jahren,  das Brennholz für die ganze Sahelzone produzieren könnte, wenn sie es nachhaltig machen könnte, was aber nicht so passiert. Ich habe nun die Befürchtung, dass mit der Brennholzenerige in der Schweiz nun etwas ähnliches passiert. Zwar nie in diesem Ausmass, da dies das Waldschutzgesetz verhindert. Aber man merkt, dass die Transportkosten in der Holzindustrie eine wichtige Rolle spielt, wenn man die Kosten nicht augleichen kann, nimmt man immer das naheliegendste. Daher habe ich die Befürchtung, dass man anfangen wird in der Schweiz  viel mehr Holz zu nutzen und schlussendlich überzubenutzen, während andere Flächen lediglich wegen der finanziellen Überlegungen nicht genutzt werden. Deshalb finde ich, es gibt noch Potenzial zur Energienutzung von Holz in der Schweiz,  aber man muss aufpassen wie man damit umgeht, dass aus wirtschaftlichen Gründenn gewisse Flächen viel mehr genutzt werden wie anderer.

OB: Von meiner Seite noch zu allerletzt: Was kann der Einzelne tun, bzw. was sollen wir unbedingt tun oder unterlassen um zu versichern, dass sich die Situation nicht verschlechtert?

PH: Es ist wichtig sich darüber zu informieren, welche Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen und welche nicht. Hier gibt es einige Unterschiede, wir forschen beispielsweise nach, was für eine Wirkung unser Geschäfte in verschiedenen Ländern haben. Wir arbeiten auch sehr gerrne mit Zerftifizierungen, sprich Öko under Fair Trade Zertifizierungen. Es ist wichtig zu berücksichtigen, ob es unabhängig kontrolliert wurde und die Firma sich nicht selber bestätigt. Unabhängige sollen untersuchen, ob keine Pestizide oder Kinderarbeit in den Produkten stecken. Diesbezüglich gibt es riesige Unterschiede: Die billigste Schokolade schliesst keine Kinderarbeit und keine Waldzerstörung aus. Es ist so, dass die Schokoladenindustrie mitverantwortlich ist für die Zerstörung geschützter Wälder man aus diesem Grund bei Unternehmen einkaufen sollte, die sich dafür interessieren woher die Bohnen kommen und wie es den Bauern dort geht. Es gibt viele Möglichkeiten für Unternehmen, etwas zu tun, angefangen bei Dingen wie CO2 Neutralität. Wir selber verkaufen CO2 neutrale Schokolade and Kunden. Man soll fragen, woher das Produkt kommt und Transparenz verlangen.

OB: Und in der Politik, soll man euch einfach mit Petitionen bombardieren?

TW: Na ja, im Kanton Zürich muss man auf Petitionen auch eine Antwort geben du ich weiss nicht, ob diese Antworten dann immer so klug sind. Im Vergleich zum globalen Massstab haben wir in der Schweiz keine grossen Probleme und anderorts können wir natürlich nicht wählen. Wir können die Politik in anderen Ländern nicht kontrollieren. Dort bleibt natürlich nur unsere Rolle als Konsumenten und da schliesse ich mich an meine Vorläuferin an. Man kann zertifizierte Produkte kaufen, sollte aber auch auch das Label kritisch betrachten und Verbesserungen im Label fordern. Schwierigkeiten bei Label liegen darin, dass sie die Anforderungen nicht zu hoch setzen können, das es sonst niemand erfüllen kann. Man kann sie aber auch nicht zu tief setzen, das es sonst nichts bringt.

AR: Ich als Bürger schaue bei jedem Holzprodukt die Herkunft an. Ich kaufe möglichst einheimisches Holz und sonst definitiv ein zertifiziertes Produkt. Bei der Waldbewirtschaftung ist es entscheidend, dass wir einheimisches Holz auf eine ökologisch sinnvolle Art produzieren. Es braucht Integration der Förderung des Schutzes in der Holzproduktion und auch des Erholungsraums. Es wäre ein riesiger Fehler, wenn man die Holzproduktion über alles stellen würde. Aus Sicht der Forschung sind internationale Netzwerke wie die International Union of Forest Research Organisations (IUFRO) ganz wichtig. Die IUFRO besteht aus über 200 Mitgliedsländer, 800 Organisationen und 15‘000 Mitgliedern, unter anderem NGOs und Forscher. Diese Netzwerke sind extrem wichtig um Erfahrungen austauschen zu können.

LS: Aus Sicht einer NGO ist nachhaltiger Konsum sehr wichtig, wie bisher gesagt. Es kommt noch etwas sehr banales, aber wichtiges hinzu, denn Naturschutzorganisationen wie wir oder die WWF brauchen Geld um unsere Arbeit verrichten zu können. Genau so wichtig ist es, dass man Politiker ins nationale Parlament wählt, denen die Natur in der Schweiz, aber auch ausserhalb der Landesgrenzen wichtig ist. Sonst ist konkret das wichtigste, dass sich die Menschen für den Wald interessieren und begeistern, indem sie in den Wald gehen und Kinder ihn beispielsweise durch die Pfadi oder Cevi erleben. Denn so wächst auch die emotionale Bindung zum Wald und somit auch das Interesse daran, ihn zu schützen.


Offene Diskussion – Auswahl Fragen vom Publikum

Publikum: Sie haben erwähnt, wie wichtig es ist das Interesse der Leute zu wecken und sie zu berühren, wenn man etwas ändern möchte. Sie haben auch die Wichtigkeit von Labels hervorhgehoben. Doch ist bekannt, dass die Labels prozentual gesehen keinen grossen Anteil am Gesamtmarkt haben. Ich habe das Gefühl, dass es nicht reicht, lediglich die richtigen Labels zu kaufen. Man sollte auch versuchen, die Leute zu erreichen und ein Umdenken im Bezug auf diese verschiedenen Umweltthemen anzustossen. Deshalb meine Frage an Sie: Woran arbeiten Sie in diesem Bereich, falls Sie das tun?

TW: Wenn wir die Labels anschauen bei den Holzprodukten sind PEFC und FSC die zwei grosse Holzlabel in der Schweiz. FSC ist ein sehr bekanntes Label, kennen praktisch alle. Wenn wir die Papierindustrie anschauen, haben die Labels doch einen relativ grossen Anteil. Die Schwierigkeit wenn wir das Holz anschauen ist, dass das Kleinmärkte sind. In der Schweiz ist der Baumarkt der grosse Markt. Also da Holz, das in die Geäude reingeht und dort haben die Labels praktisch keinen Anteil. Und das is die grosse Herausforderung: Wie kommen diese Labels dort rein? Dort spielt wirklich die Musik und dort könnte man etwas verändern. Wenn ich in den Coop Bau & Hobby gehe und eine FSC-zertifizierte Holzleiste kaufe, dann mache ich mir als Konsumenten ein gutes Gewissen und es ist sicher besser, wie wenn ich es nicht gemacht hätte. Aber auf den Holzmarkt hat es keinen grossen Einfluss. Die Frage ist dann, wie bringe ich beispielsweise den Einfamilienhausbesitzer dazu, ein Holzhaus mit zertifiziertem Holz zu bauen und wie kommt er zu diesem Holz. Hier gibt es noch sehr viel Luft nach oben und es braucht Druck von Konsumenten auf die Investoren, damit sie das machen. Sonst droht die Gefahr, dass die Labels nur in diesen Nichen bleiben.  

Frage an AR: Wie viel Wald wird tatsächlich abgeholzt und wie viel müssen wir aufforsten? Was ist ihre Bilanz dazu?

Insgesamt werden jährlich rund 5 mio. Hektaren gerodet. Im Kontrast zu Abholzung heisst Rodung, dass es einen Übergang von einer Waldfläche zur Landwirtschaftsfläche gibt. Gleichzeitig kommen aber auch 1.5 mio. Hektaren dazu, aber eben nicht am gleichen Ort. Das ist der grosse Punkt. In den Tropen und Subtropen sieht man nach wie vor diese Abnahme und in der nördlichen Hemisphären sieht man eine Zunahme. Doch wenn man die Situation vor dem Menschen anschaut, dann war zum Beispiel die Schweiz ein Waldland, nur über der Waldgrenze und auf den Mooren gab es walfreie Flächen. Wenn man Irland, Schottland oder das Mittelmeer anschaut, das waren alles Waldgebiete.

Wie lang wird es dauern bis wir keinen Wald mehr haben?

AR: Der Wald wird nie verschwinden. Sei es in der Schweiz, Noramerika oder Sibieren, die Waldfläche wird da kaum reduziert werden. Wo es wirklich Waldflächenverluste gibt, wäre in den Trockengebieten wo sich die Wüsten durch Erosion ausdehnen. Aber der ganz grosse Verlust ist der Verlust an Primärwäldern. Da ist oft nacher kein Wald mehr oder es steht einer, der aber nicht mehr den gleichen Wert hat.  Es ist aber nicht so, dass der Wald weltweit am absterben ist, sondern es sind eher die wertvollen Wälder, die verschwinden.

Wie viele Jahre haben wir noch, um die Tropenwälder zu schützen?

AR: Ich denke es geht um wenige Jahrzehnte, es kommt darauf an, wie die Gesetze wirken. Das eine ist, dass viele Länder keine Gesetze haben um ihren Wald zu schützen. Das andere ist, dass Länder vielleicht Gesetze haben, sie aber nicht umsetzen. In gewissen Regionen in den Tropen ist der Schwund dramatisch.

Frage zur historischen Entwicklung in der Schweiz: Wie war es möglich, das der Umweltschutz so erfolgreich war?

AR: Der Grund war, dass es im 19. Jahrhundert viele Jahre mit zahlreichen Notsituationen wie starke Niederschlagserreignisse, Überschwemmungen, Lawinen etc. Man merkte, dass die Wälder an entscheidenden Orten fehlten und keinen Schutz vor diesen Erreignisssen gewährleisten konnten. Der Schutz der Wälder ist also eigentlich aus einer Notsituation entstanden.

Was sind die grössten CO2 Speicher? Wald- oder Grünland?

AR: Die oberirdische Biomasse ist im Wald sehr gross, darum ist im Wald oberirdisch viel mehr Kohlenstoff gespeichert. Unterirdisch ist es einerseits das Wurzelwerk und andererseits das organische Material, dass im Boden gespeichert ist, welches das Kohlenstoff bindet. Ich würde nicht sagen, dass die Wiesen viel Kohlenstoff speichern, da speichern die Wälder sicher mehr im Boden. Moore bzw. die Freuchtgebiete  haben auch riesige Kohlenstoffspeicher. Das ist auch ein grosses Thema, sehr viele Feuchtgebiete sind heute in der nördlichen Hemisphäre in der borealen Zone, wo zum Teil noch Permafrost herrscht. Dieser taut jetzt langsam auf. Einerseits wachsen dadurch die Bäume besser und binden mehr Kohlenstoff, und auf der anderen Seite wird durchs Auftauen sehr viel Kohlenstoff aus dem Boden emittiert.

Standort:

The event will be hosted as a podium session, with a Q&A session and aperitif.

The Volkshaus is easily accessible with public transportation.

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